PROGRES (BiH)
PROGRES Berufsqualifizierung

Worüber Sie in diesem Artikel lesen:


Versöhnung durch Berufsausbildung in Bosnien-Herzegowina

Bosnien-Herzegowina nimmt seit Jahrhunderten am Rande Europas eine Sonderstellung ein. Durch unterschiedliche Ethnien und Religionszugehörigkeiten geprägt, ist es schwierig, Grundlagen für ein friedliches und konstruktives Zusammenleben zu schaffen. Diese Schwierigkeiten gipfelten im jugoslawischen Bürgerkrieg (1992 – 1995), der bis heute das Land prägt: alle Volksgruppen (Bosniaken, Serben und Kroaten) sind Kriegsopfer. Der gegenseitige Vertrauensverlust ist noch immer allgegenwärtig.

Etwa 200.000 Zivilisten, meist Frauen und Kinder, verloren während des Krieges ihr Leben. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, ca. 2,2 Millionen Menschen, wurden aus ihren Heimatdörfern und -städten vertrieben. Viele flüchteten und verließen das Land. Die wenigen, die zurückkehrten, konnten oft nicht in ihre Heimatorte zurück.

Versöhnung und Zusammenarbeit der Volksgruppen

Der Friedensvertrag von Dayton 1995 hat den Staat Bosnien-Herzegowina politisch und administrativ geordnet und die verschiedenen Regionen des Landes – und damit auch die ethnische Verteilung – neu festgelegt. Bosnien-Herzegowina besteht seitdem aus zwei Entitäten: Die bosnisch-kroatische Föderation (mit Sitz in Sarajewo und Mostar) und die serbische Republik Srpska (mit Sitz in Banja Luka). Eine Einigung auf gemeinsame Ziele ist in diesem Staatsgebilde kaum zu erreichen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Föderation, die wiederum aus 10 Kantonen besteht, jeweils drei unterschiedliche, zeitlich aufeinander folgende Regierungen hat, die sich oftmals gegenseitig blockieren. So fließt ein Großteil der zur Verfügung stehenden Gelder in Verwaltung und Administration. Dieser Zustand hält nun seit fast 20 Jahren an, ohne eine Aussicht auf eine gemeinsame, für alle gewinnbringende Zukunft.

Zukunftsperspektiven und Beschäftigungssituation für junge Menschen

Die Arbeitslosigkeit im Land beträgt ca. 40%, bei jungen Erwachsenen liegt sie bei mindestens 60%. Viele der Jugendlichen verlassen noch immer das Land, da sie in Bosnien-Herzegowina für sich keine Zukunft sehen.

Trotzdem ist der Wille bei den daheim Gebliebenen ungebrochen, bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Davon konnten sich in den Jahren 2008 und 2011 mehrere Stiftungsrätinnen der Louis Leitz Stiftung bei Projektreisen „vor Ort“ überzeugen.

Die Vorgeschichte zum aktuellen Projekt

Seit 2005 besteht die Zusammenarbeit zwischen der Stiftung Wings of Hope in Sarajevo und Deutschland mit der Louis Leitz Stiftung. Durch die gemeinschaftlich durchgeführten Projekte „Hilfe zur Selbsthilfe“ (2005 – 2008) und „Versöhnung durch Berufsausbildung“ (2009 – 2012) gelang es zahlreichen jungen Erwachsenen, sich durch eine erfolgreiche berufliche Ausbildung neue Lebensperspektiven zu erschaffen.

Jährlich nehmen 70 – 90 junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren die Chance einer betrieblichen Kurzausbildung (1/2 – 1 Jahr) in ausgesuchten Lehrbetrieben wahr. Sie erhalten in der Lehrzeit von dem Unternehmen oder einer regionalen Institution eine Ausbildungsvergütung bzw. ein Stipendium und nach der Abschlussprüfung ein anerkanntes, internes Zertifikat. Die meisten dieser „Lehrlinge“ werden von den Ausbildungsbetrieben auf einen betrieblichen Arbeitsplatz übernommen, die anderen haben mit dem Ausbildungszertifikat viel bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz in einem anderen Unternehmen.

Privatwirtschaft und staatliche Institutionen engagieren sich gemeinsam

Das Ziel, das Projekt in der Gesellschaft Bosnien-Herzegowinas zu verankern, wurde inzwischen weitgehend erreicht. Ein Projekt-Beirat, bestehend aus Vertretern von Firmen, Handwerkskammern sowie Bildungs- und Arbeitsagenturen, steht dem Projekt unterstützend zur Seite. Dieses inoffizielle, entitätsübergreifende Zusammenwirken der unterschiedlichen Vertreter ist eine große Stärke des Projektes.

In sechs von neun Projektregionen werden Stipendiaten derzeit durch lokale Institutionen gefördert, so dass der Bürgerverein „Progres“ als Projektträger inzwischen nur noch die Verantwortung für die Koordination der Beiratssitzungen übernimmt. In den weiteren drei Regionen arbeitet „Progres“ daran, die Förderung durch lokale Institutionen zu erreichen, um auf diese Weise die Nachhaltigkeit des Projektes sicherzustellen.

Entwicklung von beruflichen Perspektiven für die Jugendlichen

Die langjährigen Erfahrungen zeigten, dass es notwendig ist, bereits bei der Berufsorientierung in den beruflichen Mittelschulen anzusetzen. Der rein theoretische Unterricht bedarf dringend eines besseren Praxisbezugs. Den Schülern soll die Möglichkeit eröffnet werden, durch direkte Kontakte zu Betrieben unterschiedliche Berufsbilder kennen zu lernen.

Das bisherige Ziel, dies durch Patenschaften mit engagierten Unternehmen und beruflichen Mittelschulen zu erzielen, war leider zu ambitioniert. Den Firmen fehlen oft die notwendigen Mittel, um dies anbieten zu können. Daher wird der Fokus nun darauf gelegt, Betriebe und Schulen zusammenzuführen.

Ein „Runder Tisch“ mit allen 9 Partnerregionen knüpft Kontakte und zeigt Möglichkeiten des Zusammenwirkens auf. Arbeitgebervertreter werden hierzu mit eingeladen. Der Projekt-Beirat setzt sich aktiv dafür ein, die Firmen davon zu überzeugen, ihre Ausbildungsmöglichkeiten an den Schulen vorzustellen. Damit leisten die Unternehmen einen wichtigen Beitrag zu einer besser qualifizierten beruflichen Ausbildung von jungen Menschen.

Der gemeinnützige Bürgerverein „Progres“ bringt seine Erfahrungen mit ein

Das Projekt wendet sich an ausgewählte Mittelschulen, unabhängig von der religiösen, ethnischen und nationalen Herkunft der Schüler. Den Jugendlichen wird angeboten, an Veranstaltungen des multi-ethnischen Jugendnetzwerkes von „Progres“ und an einem friedenspädagogischen Jugendcamp teilzunehmen.

2010 wurde der Bürgerverein für psycho-soziale Unterstützung und eine bessere Zukunft „Progres“ gegründet. Er entstand aus der langjährigen Zusammenarbeit zwischen Wings of Hope und den jetzigen Mitarbeitern von „Progres“.

Das Hauptaugenmerk des Bürgervereins liegt auf der Förderung und Unterstützung der Opfer von Gewalt und Krieg. Ziel ist es vor allem, junge Menschen in Bosnien-Herzegowina darin zu unterstützen, wieder Perspektiven für ihr eigenes Leben zu gewinnen. Schwerpunkte sind die multi-ethnische Jugendarbeit, psychosoziale Unterstützung an Schulen und die Entwicklung von beruflichen Perspektiven von Jugendlichen. Elvir Causevic, Leiter des Bürgerverein „Progres“, ist es gelungen, in den letzten beiden Jahren ein kompetentes Team von hauptberuflichen Mitarbeitenden und ehrenamtlichen jungen Menschen für die Versöhnungsarbeit zu gewinnen.

Wings of Hope – Flügel der Hoffnung

Die Stiftung Wings of Hope Deutschland mit Sitz in München wurde Anfang 2003 mit Hilfe der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern unter dem Motto „Flügel der Hoffnung für die verwundeten Seelen der Kinder in Kriegs- und Krisengebieten“ gegründet.

Das Engagement von Wings of Hope begann schon während des Krieges in Bosnien-Herzegowina. Peter Klentzan, Diakon und Mitbegründer von Wings of Hope, erkannte damals, dass viele Kinder schwere seelische Verletzungen erlitten hatten, und begann, gemeinsam mit bosnischen Kollegen die Traumaarbeit von Wings of Hope in Sarajevo.

Auch 20 Jahre nach dem Krieg wirken sich die Folgen der Traumatisierungen noch aus, denn Eltern geben diese an ihre Kinder weiter. Der wirtschaftliche und politische Stillstand prägt die Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit vieler Menschen. Traumaarbeit und Friedensarbeit sind deshalb dringend nötig.

Warum unterstützt die LL-Stiftung das Projekt PROGRES?

„Ich unterstütze dieses Projekt zur Schaffung von Zukunftsperspektiven in Osteuropa,

  • weil Kinder und Jugendliche ein Recht auf eine gute Ausbildung und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben. Dies beginnt damit, dass sie über die praktischen, beruflichen Möglichkeiten informiert sind, Ausbilder ihnen zur Seite stehen und sie psychosoziale Unterstützung erhalten.
  • weil die Entwicklung Bosnien-Herzegowinas mir am Herzen liegt, fast vergessen am Rande Europas. Die Schätze dieses kulturell, landschaftlich reichen und vielfältigen Landes verdienen es gelebt werden zu können.“

Heidi Palm
Projektpatin PROGRES

Weitere Informationen unter www.progres-bh.ba und www.wings-of-hope.de

Stand: Juli 2015