SEEHAUS (D)

SEEHAUS Leonberg

Worüber Sie in diesem Artikel lesen:


Gesellschaftliche Wiedereingliederung von straffälligen Jugendlichen, Leonberg

„Vertrauen ist für Jugendliche viel schwieriger zu überwinden als Mauern“ (Geschäftsführer Tobias Merkle zum freien Vollzug).

Unterschiedliche Untersuchungsergebnisse haben immer wieder gezeigt, dass der überwiegende Teil straffällig gewordener Jugendlicher aus sozialen Randgruppen und schwierigen familiären Verhältnissen kommt. Bedingt durch mangelnde sozialeBindungen und auf der Suche nach sozialer Anerkennung sind sie in ihrem persönlichen Urteils-
vermögen oftmals weniger kritisch und leichter beeinflussbar als vergleichbare Jugendliche aus einem stabilen familiären und sozialen Umfeld. Entsprechend sind sie auch für kriminelle Einflüsse wesentlich leichter zugänglich. Ist ein Jugendlicher erst einmal straffällig geworden und zu einer Haftstrafe verurteilt, so trägt die Inhaftierung nur in den seltensten Fällen dazu bei, den Jugendlichen nach seiner Entlassung als gesetzestreuen Bürger in unsere Gesellschaft zu reintegrieren. Ganz im Gegenteil – die Realität des Gefängnisalltags kommt eher einer Schule für Kriminalität gleich, und die Rückfallquote liegt bei Jugendlichen zwischen 14-20 Jahren bei bis zu 92 Prozent.

Ein anderes Modell des Strafvollzuges

Vor diesem Hintergrund hat das Justizministerium Baden-Württembergs ein Konzept für einen Jugendstrafvollzug in freien Formen nach § 91 Abs.3 Jugendgerichtsgesetz entwickelt. Im Vordergrund steht hier ein auf gesellschaftlichen Kräften basierendes Erziehungs-
programm. Obwohl es das Gesetz dazu schon seit 1953 gibt, wurde dieser innovative Weg im Umgang mit Jugendkriminalität erst jetzt umgesetzt. Mit diesem modellhaften Projekt, das auch auf andere Bundesländer übertragbar ist, übernimmt Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle für ganz Deutschland.

Träger und Betreiber der Einrichtung Seehaus Leonberg ist der Verein Prisma, Initiative für Jugendhilfe und Kriminalprävention e.V. Gegründet wurde Prisma e.V. im Jahre 2001, als das in Zusammenarbeit mit dem Justizministerium gegründete Projekt „Chance e.V.“ Träger für mehrere Projekte suchte. Den straffällig gewordenen Jugendlichen sollte durch den intensiven Realitätsbezug des Erziehungsprogramms die Wiedereingliederung in Gesellschaft und Beruf ermöglicht werden.

Leben und Arbeiten in der Familie

Das Seehaus Leonberg wurde im November 2003 gegründet und kann momentan bis zu
18 Jugendliche in drei Wohngemeinschaften aufnehmen. Sie leben dort mit jeweils einem Mitarbeiterehepaar und deren eigenen Kindern zusammen.  28 Jugendliche können längerfristig betreut werden. Die Delinquenten sind zwischen 14 und 21 Jahre alt und haben eine Haftstrafe ohne Bewährung zwischen ein bis sechs Jahren zu verbüßen. Die Verweil-
dauer im Seehaus Leonberg liegt bei ein bis zwei Jahren.

In der Regel handelt es sich um Mehrfach- und Intensivtäter. Unter der Voraussetzung, dass sie bereit sind an sich zu arbeiten, können sich die Jugendlichen vom Jugendstrafvollzug aus für das Projekt bewerben. Davon ausgenommen sind Straftäter, die wegen vorsätzlicher Tötungs- oder Sexualdelikte verurteilt wurden, oder bei denen eine akute Drogenab-
hängigkeit besteht.

Abseits von der negativen Subkultur, die im geschlossenen Vollzug herrscht, werden die Jugendlichen darauf vorbereitet, ihren Teil für die Gesellschaft beizutragen und sich positiv darin einzubringen. Und dies wird ohne jegliche Mauern und Zäune praktiziert!

Ausbildung und Tagesablauf

In der Seehaus-Schule absolvieren die Jugendlichen ihren Hauptschulabschluss und das erste Lehrjahr für Bauberufe (Bau und Holz). Bisher konnten fast alle ihre Bildungsziele mit zumeist sehr guten Ergebnissen erreichen. Da der Träger eine enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft pflegt, erhalten die Jugendlichen im Anschluss feste Ausbildungsstellen bzw. einen Arbeitsplatz.

Im Seehaus Leonberg erwartet die Teilnehmer ein harter und durchstrukturierter Arbeitstag, der um 5.45 Uhr mit Frühsport beginnt. Ihnen werden enorme Leistungen abverlangt. Hausputz, Schule, Arbeit, Berufsvorbereitung, Sport, gemeinnützige Arbeit, Täter-Opfer-Ausgleich, soziales Training und die Vermittlung christlicher Werte und Normen sind fester Bestandteil des Konzeptes. Bis 22.00 Uhr sind die Jugendlichen in ein konsequent durchgeplantes Erziehungsprogramm eingebunden, in dem sie lernen, Verantwortung zu übernehmen und sich als gesetzestreue Bürger in die Gesellschaft einzugliedern. Die Realität zeigt, dass nicht alle Projektteilnehmer diesen harten Anforderungen gewachsen sind und vorzeitig aussteigen, d.h. wieder in den geschlossenen Vollzug zurück gehen.

Motivation und Zielsetzung

Das Projekt ist darauf ausgerichtet, den Teilnehmern einerseits durch die Vermittlung von Wissen und Können eine berufliche Perspektive zu erarbeiten. Durch individuelle Betreuung und Förderung werden jedoch andererseits auch sehr hohe Anforderungen an die Grundtugenden wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit gestellt, sowie ein sicheres Auftreten geschult. Fähigkeiten der Konfliktbewältigung, Pflichtbewusstsein und Selbstbeherrschung, sowie Teamgeist und Durchhaltevermögen werden im konsequent durchgeplanten Tagesablauf gelehrt, um den Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten im Arbeitsalltag, ebenso wie mit anderen Mitmenschen zu trainieren.

Die Jugendlichen übernehmen Verantwortung füreinander und leiten einander an. Sie lernen, für andere da zu sein und sich gegenseitig zu helfen. Durch eine positive Gruppenkultur bzw. durch die Vermeidung einer negativen Subkultur wird die Grundlage dafür geschaffen, dass die Jugendlichen im Seehaus Leonberg umfassend qualifiziert und auf ein straffreies Leben nach der Haft vorbereitet werden.

Die Kosten für den hohen personellen Aufwand im freien Vollzug belaufen sich zwar auf das Doppelte im Vergleich zum geschlossenen Vollzug, rechtfertigen sich jedoch schnell über langfristige Einsparungen, solange kein Rückfall zu verzeichnen ist.

Nachsorge tut Not

Die Louis Leitz Stiftung bringt ihre Förderung in die „Nachsorge“ ein. Diese wird von uns als ein überaus wichtiger Baustein des Projektes erachtet, um für die Jugendlichen, die den „geschützten“ Raum verlassen, die Nachhaltigkeit zu gewährleisten.

Sie werden über ihren Aufenthalt im Jugendhof Seehaus hinaus begleitet, z.B. mit Hilfe der Betreuung durch ehrenamtliche Paten und betreutem Jugendwohnen mit Prisma-Mitarbeiter. Dieser nahtlose Übergang aus der Haftzeit in die Betreuung ermöglicht die Fortsetzung der initiierten Veränderungsprozesse und schafft grundlegende Bedingungen für die weitere Persönlichkeitsbildung.

Warum unterstützt die LL-Stiftung das Projekt SEEHAUS?

„Ich hatte persönlich das Glück, als Kind in einem intakten Elternhaus aufwachsen zu können, in dem ich mit viel Liebe, Zuwendung und Geborgenheit groß geworden bin. In einem geordneten und harmonischen familiären Umfeld bin ich zu einem selbstbewussten und eigenverantwortlichen Menschen gereift. Als erwachsener Mensch weiß ich, wie viel ich es gerade diesem glücklichen Umstand zu verdanken habe, dass ich zu dem Menschen geworden bin, der ich heute bin.

Wir wissen alle, dass das Sozialverhalten maßgeblich in den ersten Lebensjahren geprägt wird – in der Familie! Vielen Menschen ist es nicht vergönnt, in einem Familienverbund aufzuwachsen; um so schwieriger ist es für sie später, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.
In einem funktionierenden Gesellschaftssystem habe ich als Bürger viele Rechte, aber auch Pflichten. Ich sehe es als meine bürgerliche Verpflichtung an, auch diesen Menschen zu helfen, die weniger privilegiert sind und freue mich über jeden Teilnehmer am Projekt „Seehaus Leonberg“, der doch noch seinen Platz in und nicht am Rande unserer Gesellschaft findet.“

Helmut Leitz
Projektpate SEEHAUS

Weitere Informationen unter www.seehaus-ev.de

Stand: Juli 2015