Worüber Sie in diesem Artikel lesen:
- Sozialpädagogische Begleitung junger Menschen im Übergang Förderschule – Ausbildung in Stuttgart / Bad Cannstatt (D)
- Das Anna Haag Mehrgenerationenhaus
- Ausbildung und Arbeit unter einem Dach
- Förder- und Sonderschulabsolventen haben es besonders schwer
- Der schwierige Übergang „Förderschule – Ausbildung“
- Niemand soll verloren gehen
- Der Einstiegs- und Krisencoach als Wegbereiter und „Anwalt“
- Individuelle Mentoren für besonders benachteiligte junge Menschen
- Warum fördert die LL-Stiftung das Projekt KRISENCOACH?
Sozialpädagogische Begleitung junger Menschen im Übergang Förderschule – Ausbildung
„Bei uns stehen die Menschen mit all ihren Fähigkeiten und Einschränkungen, mit ihren Stärken und Schwächen im Mittelpunkt. Wir geben ihnen den Raum und die Möglichkeit zur individuellen Entfaltung und Weiterentwicklung“ (aus dem Leitbild des Anna Haag Mehr-
generationenhauses).
Das Anna Haag Haus ist eine soziale Einrichtung in Stuttgart-Bad Cannstatt. Das ursprüng-
lich als Wohnheim für alleinstehende Frauen erbaute Haus trägt den Namen seiner Gründerin, der Stuttgarter Frauenrechtlerin, Politikerin, Pazifistin und Schriftstellerin Anna Haag (1888-1982).
Das Anna Haag Mehrgenerationenhaus
Nach der Umstrukturierung zu einem intergenerativen, sozialen Dienstleistungsunter-
nehmen mit breit gefächerten Arbeitsschwerpunkten leben und lernen heute mehrere Generationen wie in einer Großfamilie unter einem Dach. Die 125 Kinder der beiden Kindertagesstätten, rund 200 Jugendlichen der Bildungsstätte für leistungsgeminderte junge Menschen, ca. 25 Frauen und Männer in verschiedenen Qualifizierungsmaßnahmen im pflegerischen und haushaltsbezogenen Dienstleistungsbereich und 84 Seniorinnen und Senioren des Seniorenzentrums bilden eine lebendige Gemeinschaft.
Die Offenheit und Atmosphäre des 2007 eröffneten Neubaus, die täglichen Begegnungen und gemeinsamen Aktivitäten der verschiedenen Generationen fördern nicht nur das Verständnis untereinander, sondern tragen entscheidend zu einer positiven Entwicklung des Selbstwertgefühls und der sozialen Fähigkeiten bei Alt und Jung bei.
Ausbildung und Arbeit unter einem Dach
Dazu gibt es ambulante Angebote wie häusliche Pflege, hauswirtschaftliche Dienst-
leistungen und betreutes Wohnen mit Pflege durch die Tochtergesellschaft Anna Haag Mobil – Pflege und Service rund um die Familie sowie das Integrationsunternehmen TANDiEM gGmbH, das seit Juli 2007 behinderten jungen Menschen unter den Schlüsselbegriffen „Arbeit – Bildung – Integration“ mit einer Nachqualifizierung den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt eröffnet (2009 – 2013 von der Louis Leitz Stiftung gefördert).
Im Rahmen ihrer besonderen Ausbildungskompetenz bietet die Bildungsstätte des Anna Haag Mehrgenerationenhauses verschiedene Berufsvorbereitungs-, Ausbildungs- und Fördermaßnahmen für junge Menschen mit Behinderung nach dem Besuch einer Förder- oder Sonderschule an. Eingebunden sowohl in den betrieblichen Ablauf als auch in das generationenverbindende Gesamtkonzept des Hauses erwerben die jungen Menschen fachliche, persönliche und soziale Kompetenzen als Grundlage für ihr anschließendes Arbeits- und Berufsleben.
Förder- und Sonderschulabsolventen haben es besonders schwer
Immer häufiger geht es dabei mittlerweile um Jugendliche, die aufgrund ihrer Behinderung und/oder Herkunft besonders schlechte Voraussetzungen für den Einstieg in eine Ausbildung mitbringen. Sie stammen aus Familien mit schwierigem sozialem Hintergrund, sind in der Schule oder in anderen Institutionen bereits mehrfach gescheitert oder auch schon mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Manche haben Gewalt- und/oder Missbrauchserfahrungen hinter sich. Durch ihre behinderungsbedingt eingeschränkten Möglichkeiten der Berufswahl sind sie von vorneherein wenig motiviert und zukunftsorientiert; oft sind sie unsicher, schwierig im Verhalten, ablehnend gegenüber Neuem, fühlen sich überfordert, sind misstrauisch und wenig beziehungsfähig.
Der schwierige Übergang „Förderschule – Ausbildung“
Jeder dieser jungen Menschen ist geprägt durch seine individuelle Vorgeschichte, doch für alle weisen die Auswirkungen ihrer Probleme und Defizite in ein und dieselbe Richtung: Die Jugendlichen schaffen es nicht alleine, all dies in Angriff zu nehmen und zu bewältigen. Angesichts veränderter Anforderungen, wie sie beim Übergang von der Schule in eine Ausbildung auftreten, geben sie eher auf. Rund 30% nehmen so die Möglichkeit einer beruflichen Ersteingliederung gar nicht wahr oder scheitern bereits zu Beginn. Auch für diejenigen, die den Übergang schaffen, kommt es immer wieder zu Schwierigkeiten im privaten Umfeld und zu persönlichen Krisen, die ohne Hilfestellung nicht bewältigt werden können.
Diese jungen Menschen benötigen eine individuellere Unterstützung sowie intensivere und frühzeitigere Intervention als die regelfinanzierten Mitarbeiter sie aufgrund vorgegebener Personalschlüssel und Aufgabenstellungen leisten können.
Niemand soll verloren gehen
Die Konsequenzen sind gravierend. Denn wenn ein Jugendlicher den Übergang Schule – Beruf nicht meistert oder eine begonnene Ausbildung abbricht, bedeutet dies in der Regel, dass damit der Anspruch auf eine weitere berufliche Förderung innerhalb einer geeigneten Einrichtung (wie der Bildungsstätte des Anna Haag Mehrgenerationenhauses) endet. Es gibt keine anderen Ausbildungs-Alternativen, eine berufliche Eingliederung kann nicht stattfinden. Diese jungen Leute landen dauerhaft in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder im ALG-II Leistungsbezug.
Mit dem Ziel, dieser verhängnisvollen Entwicklung gegenzusteuern, entwickelten die erfahrenen Mitarbeiter des Anna Haag Mehrgenerationenhauses ein Modellprojekt, um auch diesen schwächeren und/oder schwierigeren Jugendlichen einen erfolgreichen Einstieg in die berufliche Ausbildung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern.
Der Einstiegs- und Krisencoach als Wegbereiter und „Anwalt“
Als sinnvolle und notwendige Ergänzung zum Sozialdienst wurde eine neue Stelle geschaffen und mit zwei sozialpädagogischen Mitarbeitern (aus organisatorischen Gründen jeweils mit einer halben Stelle) besetzt. Ihr Aufgabengebiet umfasst im Wesentlichen vier Schwerpunkte:
- Aufbau persönlicher Beziehung zu den Jugendlichen schon bevor sie in die Bildungsmaßnahme aufgenommen werden, um mögliche Schwierigkeiten frühzeitig erkennen und pädagogische Hilfe leisten zu können;
- intensive sozialpädagogische Begleitung gerade in der Anfangsphase der Ausbildung durch umfassende Angebote zur Unterstützung (wie z.B. Elternarbeit, therapeutische Hilfen etc.);
- Stärkung des sozialen Zusammenhalts innerhalb der Ausbildungsgruppe durch gemeinsame, gruppendynamische Erfahrungen;
- während des gesamten Maßnahmenverlaufs bedarfsorientierte Interventionsmöglichkeiten in persönlichen Krisen auf der Basis einer gewachsenen Beziehung;
Der Einstiegs- und Krisencoach arbeitet also unabhängig von den Erfordernissen der Kostenträger und kann so in allererster Linie die Interessen seiner Schützlinge vertreten. Dadurch kann er/sie während der Dauer der Ausbildung jederzeit als Vermittler oder „Anwalt“ der Jugendlichen tätig werden.
Individuelle Mentoren für besonders benachteiligte junge Menschen
Dieses Konzept verhilft auch jungen Leuten mit besonders ungünstigen und schwierigen Voraussetzungen zu einem sanfteren, pädagogisch gestützten Übergang von der Schule in eine Ausbildung – und damit zu deutlich besseren Chancen auf eine positive berufliche und persönliche Entwicklung.
Mit der Förderung des Einstiegs- und Krisencoachs setzt die Louis Leitz Stiftung ihre langjährige, von gegenseitiger Wertschätzung geprägte Zusammenarbeit mit dem Anna Haag Mehrgenerationenhaus fort. Diese Förderung bedeutet für unsere Stiftung eine äußerst sinnvolle Ergänzung der bisherigen Kooperation mit der Bildungsstätte des Anna Haag Hauses: Haben wir bisher den Übergang von der Ausbildung zum Arbeitsmarkt gefördert, so schnüren wir nun mit diesem Projekt, nämlich dem Übergang Schule – Ausbildung, ein vollständiges Paket.
Warum unterstützt die LL-Stiftung das Projekt KRISENCOACH?
„Dieses Projekt unterstützt Jugendliche in einem kritischen Lebensabschnitt, der über ihr ganzes weiteres Schicksal entscheidet. Es geht um junge Leute, die über ihre Behinderung hinaus durch ihre individuellen Lebensumstände noch in besonderer Weise benachteiligt sind und daher auch unseres besonderen Schutzes bedürfen. Für sie stellt die persönliche Zuwendung und sozialpädagogische Begleitung durch diesen Coach wahrscheinlich die letzte Chance dar, die Weichen zu einer günstigeren Ausbildungsprognose und damit einem zufriedeneren Leben zu stellen.
Darüber hinaus schätze ich das Anna Haag Mehrgenerationenhaus besonders wegen seiner besonderen Mischung von hoher fachlicher Kompetenz, Engagement und menschlicher Wärme. Bewegt von dem Gedanken, wirklich niemanden verloren zu geben, ruht man sich hier nie auf dem Erreichten aus, sondern ist stets auf der Suche nach neuen Wegen und Lösungen.“
Helen Schnepf
Projektpatin KRISENCOACH
Weitere Informationen unter www.annahaaghaus.de
Stand: Oktober 2015