FLÜCHTLINGE (D)

FLÜCHTLINGE Koordination Freundeskreise

Worüber Sie in diesem Artikel lesen:


60 Millionen Menschen sind auf der Flucht

Sie sind durch Bürgerkriege, Konflikte, Gewalt, Verfolgung oder extreme Armut zu Vertriebenen, Entwurzelten, Besitzlosen geworden – wir erleben aktuell die größte Flüchtlingswelle seit dem zweiten Weltkrieg. Über 80% dieser Menschen leben in Flüchtlingslagern, in Camps oder in Gemeinden der Anrainerstaaten ihrer Heimat; eine kleinere Anzahl sind Binnenflüchtlinge im eigenen Land. Ca. 18% der heimatlos Gewordenen wagen den monatelangen, lebensbedrohlichen und kostspieligen Weg mit Schlepper-Organisationen nach Europa: auf der Suche nach Sicherheit, Existenzsicherung und einer Zukunft für ihre Kinder. Diese sind von Familienmitgliedern begleitete oder unbegleitete Kinder und Jugendliche, letztere hauptsächlich männliche Minderjährige.

550.000 Flüchtlinge in Deutschland erwartet

Der Deutsche Städte- und Gemeindetag rechnet 2015 mit 450.000 neuen Asylbewerbern. Seit Mitte des Jahres wird von Politik und Wirtschaft intensiv diskutiert, wie Flüchtlinge aus nicht sicheren Herkunftsländern schneller Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeits- erlaubnis bekommen, damit sie sich zügig integrieren und selber für ihren Unterhalt sorgen können. Nach dem obligatorischen Schulbesuch – sowohl für junge Geduldete wie solche mit begrenzter Aufenthaltserlaubnis – sollten diese dementsprechend eine Ausbildung machen oder qualifiziert werden; Flüchtlinge mit einem Beruf sollten früher arbeiten können. Viele werden nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren und wollen eine neue Existenz aufbauen. Diejenigen, die zurückkehren, würden einen Beitrag für den Wieder- aufbau, den Ausbau der Existenzsicherung und den Aufbau von Strukturen in ihren Ursprungsländern leisten können.

In Stuttgart sind Flüchtlinge willkommen

2015 werden in Stuttgart nach einer Prognose vom Juni´15 über 5.400 Flüchtlinge erwartet, fast doppelt so viele wie 2014. Für 2016 stellt sich das Sozialamt auf 8.000 Flüchtlinge in Stuttgart ein. Sie kamen bis 2014 an erster Stelle aus den Balkanstaaten und dem Kosovo, die als sichere Herkunftsländer gelten. Heute kommen Flüchtlinge in Stuttgart prioritär aus den Herkunftsländern Syrien, dem Irak, Afghanistan (teils sind diese auch Transitländer); aus Nigeria, Eritrea, Pakistan, Gambia und Indien. Darunter befinden sich immer mehr unbegleitete minderjährige, sehr junge Flüchtlinge, deren Fluchtweg von ihren Familien finanziert wird.

Kommunale Herausforderung: Unterkünfte für die Ankommenden

Wie in jeder Stadt und fast jedem Landkreis in Deutschland werden aufgrund der seit 2014 rasant steigenden Zahlen dringend Unterkünfte gesucht und geplant. Beim „Stuttgarter Modell“ – dezentrale Wohneinheiten in den Stadtbezirken – werden Massenunterkünfte weiterhin vermieden. Sozialarbeiter der fünf zuständigen Flüchtlingsbetreuungsverbände sorgen für die soziale Betreuung und die pädagogische Heimleitung in den Gemeinschafts- unterkünften und Wohneinheiten der Stadt. In Stuttgart leben zurzeit 3.300 Flüchtlinge in 73 Unterkünften in 17 Stadtbezirken. Systembauten sind entstanden und werden noch gebaut; 10 weitere Standorte zur Aufnahme von Flüchtlingen bis Ende 2016 wurden vom Gemeinderat bereits beschlossen.

Freundeskreise im Stadtteil

Bei allen größeren Flüchtlingsunterkünften in den Wohngebieten sind langjährig aktive Freundeskreise mit ehrenamtlich Engagierten angesiedelt, oder es helfen einzelne Freiwillige den Menschen. Die Mitarbeit dieser Helfer ist nicht nur für die Integration der Flüchtlinge – auch in den Nachbarschaften – sondern insbesondere wegen des unzureichenden Betreuungsschlüssels der Sozialarbeiter in den Unterkünften geschätzt und dringend notwendig. Mit den zusätzlichen Unterkünften haben sich neue Initiativen des bürgerschaftlichen Engagements für Flüchtlinge gebildet. Die Ehrenamtlichen stehen den entwurzelten Männern, Frauen, Kindern und Familien mit verschiedensten Angeboten zur Seite, um den Kulturschock in der völlig neuen Umgebung auf extrem beengtem Raum zu überstehen, und um zu helfen, dass das ganz andere Leben sich allmählich normalisiert.

Das Kennenlernen der neuen Lebensbedingungen, des sozialen Umfelds und die frühzeitige Alltags- und Sprachvermittlung tragen zum friedlichen Zusammenleben bei. Wie auch die regelmäßige Hausaufgabenhilfe für Schulkinder, die praktische Deutsch- und Integrations- vermittlung durch Ehrenamtliche, zusätzlich zu den Sprach- und Integrationskursen der Stadt, das gegenseitige Kulturverständnis, die Begleitung zu Ämtern, zum Arzt. Derzeit engagieren sich 1.300 ehrenamtliche Unterstützer, Mentoren und Paten in 27 Flüchtlings-Freundeskreisen. Sie erleichtern die Integration in die Stadtgesellschaft und in das deutsche Schulsystem.

„Runder Tisch Flüchtlinge“ der Bürgerstiftung Stuttgart

Angesichts der akuten Herausforderungen fand auf Initiative der Bürgerstiftung Stuttgart und des Initiativkreises Stuttgarter Stiftungen im Frühjahr 2014 ein erstes Treffen zwischen interessierten Stuttgarter Stiftungen, den Trägerorganisationen und dem Sozialamtsleiter der Stadt Stuttgart in der Bürgerstiftung Stuttgart statt. Schnell kristallisierte sich die Notwendigkeit heraus, ehrenamtlich Engagierte besser zu unterstützen bei ihrer herausfordernden Aufgabe, den oft traumatisierten Menschen und Kindern aus traditionell geprägten Gesellschafts- und Familienstrukturen zur Seite zu stehen – diese kennen weder die deutsche Sprache noch die hiesige Kultur und Umgangsregeln, und haben teils auch kaum die Schule besucht.

Feste Strukturen, Ansprechpartner und Weiterbildungsmöglichkeiten gibt es bei den gemeinnützigen Trägern und den Freundeskreisen in ganz unterschiedlichem Ausmaße, so dass hier ein maßgeblicher Handlungsbedarf ausgemacht wurde. Insbesondere die neuen Initiativen bürgerschaftlich Engagierter sollen sich über die Erfahrungen und Angebote mit etablierten Gruppen austauschen können, eine Vernetzung stattfinden.

Weiterbildung, Begleitung und Koordinierung von Ehrenamtlichen

in der Flüchtlingsarbeit. Dazu lud die Bürgerstiftung Stuttgart im Juni 2014 Vertreter aus Flüchtlingsinitiativen, des Sozialamtes, der Sozialträger und anderer relevanter Organisationen ein und moderierte den bis November dauernden Prozess. Es wurden die vier Themenfelder Weiterbildung und Qualifizierung bürgerschaftlich Engagierter, Vernetzung der Freundeskreise und anderer Organisationen, praktische und schnelle Unterstützung für Flüchtlinge sowie Öffentlichkeitsarbeit in den drei Arbeitstreffen erarbeitet.

Das erfolgreiche Konzept der „Runden Tische“ ist von der Bürgerstiftung Stuttgart – ursprünglich mit Hilfe der Helga Breuninger Stiftung – entwickelt worden, um gesell- schaftlichen Herausforderungen in der Stadt mit möglichst vielen Akteuren an einem Tisch wirksam begegnen zu können. Der „Runde Tisch Flüchtlinge“ wurde mit dem dotierten Preis „Aktive Bürgerschaft“ der Volksbanken ausgezeichnet; die € 10.000 kamen dem Fördertopf „Schnelle Hilfen“ für die Flüchtlingsarbeit zugute, der bei der Bürgerstiftung Stuttgart abrufbar ist.

Eine 75%-Koordinierungsstelle beim Sozialamt Stuttgart

wurde für die Qualifikation und Vernetzung Bürgerschaftlich Engagierter in der Flüchtlingsarbeit geschaffen. Zu den Arbeitsfeldern gehören die Verknüpfung bestehender und die Entwicklung neuer Qualifizierungs- und Unterstützungsangebote für die Helfer in den Freundeskreisen, wie auch der Aufbau eines Referentenpools und einer Informations- plattform mit Newsletter für die Freundeskreise und interessierte Stuttgarter Bürger. Die Koordinatorin unterstützt die Freundeskreise und andere Akteure in der Flüchtlingsarbeit wie etwa Hauptamtliche bei der Entwicklung und Umsetzung von stadtweiten Standards und der Übertragung von Gute Praxis Modellen.

Für drei Jahre wird die neue Koordinierungsstelle im Sozialamt der Stadt Stuttgart gefördert – neben der federführenden Bürgerstiftung Stuttgart engagieren sich fünf weitere Stuttgarter Stiftungen: Berthold Leibinger Stiftung, Gips-Schüle-Stiftung, Heidehof Stiftung, Louis Leitz Stiftung und Robert Bosch Stiftung.

Warum fördert die LL-Stiftung das Projekt FLÜCHTLINGE?

„Niemand kann sich der Flüchtlingsdramatik entziehen, täglich wird hautnah berichtet. Krieg, Gewalt, Vertreibung und Flucht gehören zur Geschichte unserer Elterngeneration und der des 20. Jahrhunderts. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen. Durch mein jahrelanges Engagement in einer Flüchtlingsunterkunft der Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt in Stuttgart – Hausaufgabenhilfe und Begleitung eines jungen Irakers ohne Aufenthaltsstatus – konnte ich erleben, was es bedeutet, allein und aller Statusmerkmale beraubt, orientierungs- und perspektivlos in Angst um die Familie zu Hause im Wartezustand zu leben.

Es kommen Menschen, die etwas aus ihrem Leben machen wollen; viele dieser Neuankömmlinge können einen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten, wenn sie Hilfe bekommen haben.“

Margit Leitz
Projektpatin FLÜCHTLINGE

Weitere Informationen unter www.buergerstiftung-stuttgart.de

Stand: August 2015