SELF (D)

SELF Kassel e.V.

Worüber Sie in diesem Artikel lesen:


Fuß fassen durch Bildungserfolg

Die Kasseler Psychotherapeutin Alexandra von Hippel lernte in ihrer Praxis immer wieder junge Menschen kennen, MigrantInnen, teilweise Flüchtlinge, die ohne Eltern oder familiäre Unterstützung hier leben, die Oberstufe besuchen, das Abitur und ein Studium oder eine qualifizierende Berufsausbildung anstreben. Immer wieder erfuhr die Therapeutin, in welch hohem Maße und wie vielfältig diese Heranwachsenden benachteiligt sind, aber auch welche enormen persönlichen und intellektuellen Ressourcen und Potenziale sie entfalten können, wenn sie Kontakt, Unterstützung und Begleitung erhalten.

Sie sind Jugendliche im Alter zwischen 16 und 23 Jahren, sie leben in emotionaler und /oder wirtschaftlicher Not. Sie haben abwesende oder kranke Eltern; soweit Eltern präsent sind, sind sie überwiegend bildungsfern oder bildungsfeindlich. In Kassel haben 41% dieser Altersgruppe einen Migrationshintergrund. Wie auch bundesweit gibt es kaum Beratung und Hilfeangebote für Oberstufenschülern.

Eine Jugendliche: „Wir sind alleinerziehende Kinder“

Jugendliche, die ohne ihre Eltern hier aufwachsen, leben in der Regel ab dem 18. Geburtstag alleine. Sie sind nach Heimatverlust über viele Stationen wie Zufluchtstätten, Kinderschutz-häuser und Wohngruppen mit Erreichung der Volljährigkeit durch den Jugendhilfeträger „verselbständigt“ worden. Sie absolvieren Ausbildungen oder besuchen Oberstufen öffentlicher Gymnasien und bestreiten ihre Lebenshaltungskosten mit ca. 580 Euro Ausbildungsvergütung oder Schülerbafög incl. Kindergeld. Entweder bringen sie bis zu 70% für überteuerte Wohnungen auf oder sie wohnen in schlechten Wohngegenden.

Der Besuch einer Oberstufe, verbunden mit einem intensiven Bildungs- und Aufstiegswunsch, ist aufgrund der besonderen Belastungen gleichzeitig immer vom Scheitern bedroht. Zu finanziellen und psychischen Notlagen kommen Anpassungsprobleme an das Leben in Deutschland noch hinzu.

Die Louis Leitz Stiftung ermöglicht den Start des Projektes

SELF Kassel e.V. wurde Ende 2009 als gemeinnütziger Verein gegründet, nachdem die Louis Leitz Stiftung eine Anschubfinanzierung zugesagt hatte. Mit den Fördermitteln für das Jahr 2010 konnte eine Honorarkraft eingestellt werden und die Arbeit beginnen. Fünf junge Frauen mit Förderungsbedarf und Ideen, wie ein Projekt ihnen hilfreich sein könne, engagierten sich von Beginn an, brachten ihre Bedürfnisse und ihre Mitarbeit ein. Weitere Interessierte gesellten sich schnell hinzu.

Die Betroffenen selbst beraten, was sie brauchen

Sie formulieren die Ziele des Vereins wie folgt:

  • Förderung durch Nachhilfe, Praktika, Workcamp-Aufenthalte im Ausland
  • Soziale Kontakte
  • Familienersatz
  • Notfallunterstützung
  • Rückgrat stärken
  • Unterstützung durch erwachsene Mitglieder mit Bildungskompetenz
  • Hilfe bei der Studien- und Berufswahl
  • Bessere Ausgangschancen für die Studien-, Berufs- und Arbeitswelt

Neben individueller Beratung geben regelmäßige, sozialpädagogisch betreute Treffen Rückhalt und den Zugang zu den Hilfeangeboten. Dort beraten die Mitglieder in intensiver Diskussion, wie Fördermittel sinnvoll und nachhaltig eingesetzt werden können. Jedes Mitglied, das Fördermittel beanspruchen möchte, begründet seinen Bedarf und stellt sich kritischen Fragen. Sie überlegen, wer was braucht, wem was nützt, was fehlt. Wie kommt man mit so einem geringen monatlichen Budget aus? Wie ernährt und versorgt man sich dennoch sinnvoll? Und wie kann man die Lernmittel bezahlen, die in der Oberstufe benötigt werden? Wie sieht eine angemessene Lernumgebung aus? Sie diskutieren gemeinsam und lernen miteinander und voneinander.

Die materiellen Hilfen, die einzelne Mitglieder erhalten können, sind z.B. ein Laptop, ein Schreibtisch oder Ordnungsmittel. Oder ein Zuschuss, der die Teilnahme am AbiBall oder einer Klassenfahrt ermöglicht, oder die Unterstützung eines Workcamp-Aufenthaltes im Ausland, um die Sprachfertigkeit zu fördern. Die Angebote umfassen auch den Besuch kultureller Veranstaltungen (Theater), Fahrten zu Universitäten zur Studienorientierung, gemeinsame Aktivitäten. Die sozialpädagogische Leitung berät und leistet persönliche Unterstützung und vermittelt bei Bedarf eine psychotherapeutische Begleitung.

Der Verein ist die gemeinsame Plattform

Mitglieder sind Hilfesuchende wie auch ehrenamtliche UnterstützerInnen, StudentInnen sowie weitere Interessierte. Die ehrenamtlichen NachhilfelehrerInnen wurden über das Schwarze Brett der Universität gefunden; auch sie engagieren sich auf Ebene des Vereins. Sie stellen Kontakte und Hilfen sowie professionelles Know-How zur Verfügung und stehen mit Rat und Tat zur Seite. Die meisten haben selbst einen Migrationshintergrund und können daher in unterschiedlichen Rollen aktiv werden.

Mitgliederversammlungen finden mehrmals im Jahr statt. Berichte über die Entwicklung des Vereins, über Erfolge, Herausforderungen und Ziele, sowie persönliche Berichte über Workcamp-Aufenthalte, berufliche Praktika und sonstige Unternehmungen geben Einblicke in das Vereinsleben.

Die Projektgründerin: „So stelle ich mir Integration vor“

Schnell haben sich Strukturen gegenseitiger Hilfe und gegenseitigen Austauschs herausgebildet. Wer etwas bekommt hat auch etwas zu geben. Dieses gegenseitige Geben und Nehmen der unterstützten Mitglieder wie auch der ehrenamtlichen UnterstützerInnen und Interessierten ist das Besondere an SELF Kassel e.V.

Kooperation und Vernetzung

Die pädagogische Mitarbeiterin des Vereins hat das erste Jahr genutzt, um den neuen Verein mit seinem interessanten Angebot bei anderen Trägern sozialer Arbeit bekannt zu machen und Kooperationen zu knüpfen. Sie hat erfolgreich Förderer angesprochen und Landesmittel eingeworben. SELF Kassel e.V. wurde Bestandteil des Landesprogrammes Modellregion Integration’. Mit den Mitteln des Landes wird der Bereich „Freiwilligen-Management“ ausgebaut, Workcamps im Ausland und Praktika können vermehrt angeboten und unterstützt werden.

Warum unterstützt die LL-Stiftung das Projekt SELF?

„Integration – jenseits aller Schlagwortpolitik – ist eine drängende Aufgabe für uns alle – so steht es im Förderantrag. Sie ist eine soziale und kulturelle Bereicherung für jeden von uns. So erleben wir es auch bei SELF, diesem neuen und außergewöhnlichen Projekt. Außergewöhnlich für uns ist die, wie selbstverständlich, gelebte Integration, die es auch dem Projektpaten erlaubt, an dem gemeinsamen Prozess von Geben und Nehmen teilzuhaben.“

Benjamin Neuenhagen
Projektpate SELF

Weitere Informationen zum Projekt unter www.self-kassel.de

Stand: Juli 2015